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Eigenbedarfskündigung: Mieter kann Härtefall auch ohne Facharzt-Attest nachweisen
Der BGH entschied: Bei Eigenbedarfskündigung reicht auch ein nicht-fachärztliches Attest – Gerichte müssen Härtefälle sorgfältig prüfen.
Urteil vom 16. April 2025 – VIII ZR 270/22
Der Vermieter hatte wegen Eigenbedarfs gekündigt. Unter Hinweis auf erhebliche gesundheitliche Einschränkungen widersprach der Mieter der Kündigung und wies darauf hin, dass ein Umzug eine erhebliche psychische Belastung auslösen würde und legte eine psychotherapeutische Bescheinigung vor, in der eine emotionale Instabilität und Existenzängste dokumentiert waren. Neben akuten Depressionen mit Suizidgedanken würde hiernach sich sein Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit entscheidend verschlechtern. Eine fachärztliche Stellungnahme lag dem Widerspruch nicht bei. Nachdem das Amtsgericht die Räumungsklage für begründet hielt, bestätigte dies auch das Landgericht und kam zu dem Ergebnis, dass der Mieter die Beeinträchtigungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe und bemängelte ausdrücklich, dass ein fachärztliches Attest nicht vorläge. Es fehle daher an einem nachvollziehbaren Vortrag des Mieters, in welchem Umfang sowie mit welchen Folgen sich die behauptete Depression durch einen erzwungenen Umzug noch verschlechtern würde. Dies könne lediglich mittels Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests überzeugend dargelegt werden. Auf ein nunmehr gerichtliches Sachverständigengutachten käme es daher nicht mehr an.
Der BGH hob die Landgerichtsentscheidung hingegen auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung dahin zurück. Ein Sachvortrag hinsichtlich einer gesundheitlichen Härte könne zwar insbesondere durch Vorlage eines fachärztlichen Attests untermauert werden. Dies sei jedoch nicht zwingend erforderlich. Vielmehr könne ebenso eine ausführliche Bewertung eines medizinisch qualifizierten Behandlers im Einzelfall ausreichend sein. Die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Mieters hinsichtlich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nach seiner Sicht einen Umzug nicht mehr zumutbar machten, dürften nicht überzogen werden. Auch nicht-fachärztliche Stellungnahmen hätten Berücksichtigung zu finden, soweit diese inhaltlich qualifiziert und überzeugend erscheinen. Daher habe das Gericht bei Vorliegen eines jedenfalls nachvollziehbaren Einwands eines gesundheitlichen Härtefalls diesen nicht vorschnell als unbegründet zurückzuweisen. Vielmehr wäre zwecks Prüfung einer tatsächlichen Gesundheitsgefahr sodann regelmäßig ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Kommentar: Bei Eigenbedarfskündigungen ist die Mieterseite nicht mehr gezwungen, den Widerspruch durch ein fachärztliches Attest zu begründen. Entscheidend ist lediglich der Inhalt und die Nachvollziehbarkeit einer fundierten sowie umfassenden medizinischen Stellungnahme, die geeignet ist, den behaupteten Härtefall fachlich schlüssig zu begründen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass das Attest nicht lediglich formelhafte Angaben beziehungsweise pauschale Bewertungen enthält. Die Schwere der behaupteten Beeinträchtigungen ist auf den Einzelfall bezogen mit einer qualitativen medizinischen Einschätzung darzulegen.
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