Ich würde keine Wohnung mehr ausschlagen

Blick vom Balkon eines Appartements in Mitte Altona.
Modernes Wohnen: Blick vom Balkon eines Appartements in Mitte Altona. Foto: v. Savigny

Wie es jemandem ergeht, der in Hamburg auf der Suche nach den eigenen vier Wänden ist

Die Schlange vor der Wohnung in dem 1980er-Jahre-Klinkerbau unweit des Alma-Wartenberg-Platzes in Ottensen reicht vom zweiten Stock durchs Treppenhaus bis auf die Straße hinaus. Schätzungsweise hundert Menschen haben sich eingereiht, um eine Rarität auf dem Hamburger Mietmarkt zu besichtigen: drei Zimmer, 78 Quadratmeter, neue Tapeten, neues Laminat, Einbauküche, Balkon – und das alles zusammen für knapp unter 1.000 Euro kalt.

In Kleingruppen werden Interessenten durch die Wohnung geschleust, eine Vermittlerin sammelt „Bewerbungsmappen“ ein. „Bis Freitag“, also in spätestens zwei Tagen, wolle der Vermieter sich entschieden haben, ruft die Frau mit dem Mappenstapel, während sie die Gruppe wieder nach draußen schickt. Schneller bitte – Zeit ist schließlich Geld!

Zurzeit erinnert jede Suche nach einer auch nur halbwegs bezahlbaren Mietwohnung in Hamburg an einen Hürdenlauf, für den man einen extrem langen Atem braucht. Seit drei Monaten sei sie auf der Suche, berichtet Sanja (19), eine Schulabgängerin aus Köln, die mit einer Freundin eine Zweier-WG gründen will. Absolute Schallgrenze: 700 Euro pro Person warm. Gerne auch weniger. Denn: „700 Euro täten schon sehr weh“, meint die künftige Studentin. Enttäuschend: Nur zu drei Besichtigungen seien die beiden während des gesamten Zeitraums überhaupt eingeladen worden. Trotz Bewerbung mit Foto und Elternbürgschaft. „Die Traumwohnung zum Traumpreis ist einfach unrealistisch“, meint Sanja. „Ich würde zurzeit kein Angebot ausschlagen.“

Schätzungsweise 90 Prozent der Wohnungssuchenden an diesem Tag sind unter 40 Jahre alt, die meisten sogar unter 30. Emilie (26), Qualitätsmanagerin, und Janis (26), Heilerziehungspfleger, verdienen beide schon recht gut – haben aber dennoch keinen Erfolg. Auch sie suchen schon seit Monaten. „Manchmal bin ich schon kurz vor dem Aufgeben“, sagt Emilie und lacht gleichzeitig, weil Aufgeben einfach keine Option sein dürfe. Trotzdem: „Das ständige Warten und Hoffen und dann doch wieder klein beigeben zu müssen, ist das Schlimmste. Das geht echt auf die Psyche!“, meint sie.

Die Gründe für die Wohnungsmisere sind vielfältig. Einer davon lautet: Es wird einfach zu wenig gebaut. So hatte etwa die vergangene Ampelkoalition angekündigt, 400.000 Wohnungen jährlich fertigstellen zu wollen – ohne dass dies jemals gelungen wäre. 2022 und 2023 wurden laut Angaben des Bundesbauministeriums bundesweit knapp 300.000 Wohnungen erstellt. Für 2024 – endgültige Angaben liegen noch nicht vor – prognostizierte der Zentralverband Deutsches Baugewerbe nur noch 220.000 bis 230.000 Wohnungen. Als Ursache dafür wurden gestiegene Baukosten, hohe Zinsen für Immobilienkredite und der Fachkräftemangel genannt.

Hamburg hatte seinen Tiefpunkt im Jahr 2023, als anstatt der vom Senat anvisierten 10.000 Wohnungen nur etwa 6.000 gebaut wurden – sozusagen eine Nachwirkung der gerade ausklingenden Coronapandemie und mitten hinein in die vom Ukraine-Krieg verursachte Wirtschaftskrise. Doch mit mehr als 8.300 fertiggestellten Wohnungen im Jahr 2024 sieht der Senat inzwischen wieder einen deutlichen Silberstreif am Horizont. Der sogenannte Hamburg-Standard – in Wilhelmsburg läuft ein Modellprojekt – soll zudem schnelleres und billigeres Bauen mit weniger bürokratischen Auflagen ermöglichen.

Dennoch fehlt es weiterhin an allen Ecken und Enden an Wohnraum, insbesondere bei den Sozialwohnungen. Ihre Anzahl ist laut Untersuchungen in den vergangenen 15 Jahren deutschlandweit um rund 50 Prozent geschrumpft. Ein Trend zur Besserung sei nicht abzusehen – laut Institut der Deutschen Wirtschaft werden jährlich weitere 40.000 geförderte Wohnungen aus dem Bestand fallen. Sie werden nur zum Teil ersetzt.

Zurück auf die Straße: In Mitte Altona ist eine kleine, aber dafür topmoderne Wohnung zu vermieten. 46 Quadratmeter, zwei Zimmer, Parkettboden, Fußbodenheizung, Badewanne, Westbalkon – was will man mehr? 869 Euro kalt möchte das Maklerunternehmen dafür haben, zuzüglich Vermittlungsgebühren natürlich. „Guter Preis!“ heißt es auf der Webseite immoscout24.de unter der Anzeige. 19 Euro Miete pro Quadratmeter! Weshalb das ein „guter Preis“ sein soll, ist rätselhaft.

Dennoch sind rund 50 Interessenten zur Besichtigung gekommen. Der Termin ist schnell erledigt. „Passen Sie auf, dass Sie mit Ihren Taschen nicht an die Wände kommen“, sagt der Vertreter der Maklerfirma. Am Ende verteilt er Interessentenbögen, auf denen unter anderem nach Beruf, Monatsgehalt und möglichen Schufa-Einträgen gefragt wird. „Wann können Sie einziehen? September?“, fragt der Vermittler eine junge Bewerberin. Als sie nickt, schiebt er ein „Geht auch August?“ hinterher, obwohl der August bereits begonnen hat. „Jederzeit“, sagt die junge Frau schnell – wie fast alle hier. Am Einzugsdatum soll es schließlich nicht scheitern.

Unten vor der Haustür müssen Jule (26) aus Hamburg und Lennart (27) aus Lübeck erst einmal durchatmen. „Keine Ahnung, ob wir genommen werden“, zuckt Jule mit den Achseln. Dabei scheinen ihre Chancen zumindest auf dem Papier gar nicht so schlecht zu stehen: Sie hat eine feste Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Hamburg, er macht gerade seinen Meister in einem Handwerksberuf – am Geld sollte es also nicht scheitern. „Das persönliche Gespräch mit dem Vermieter finde ich wichtig“, meint Lennart. Einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen – das sei es, was zähle.

Um dem drohenden Mietwucher Einhalt zu gebieten, hatte die Bundesregierung vor zehn Jahren das Instrument der Mietpreisbremse eingeführt. Betroffen sind Gebiete mit besonders „angespanntem Wohnungsmarkt“. In Hamburg entspricht dies dem gesamten Stadtgebiet. Geltungsdauer: vorerst bis Ende 2025. Die Mietpreisbremse besagt, dass die Miete für eine neu bezogene Wohnung höchstens zehn Prozent über der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ liegen darf. Allerdings gelten Ausnahmen für Neubauten sowie frisch sanierte Wohnungen. Zudem tricksen etliche Vermieter, indem sie „Möblierungszuschläge“ verlangen, ohne diese genauer auszuweisen.

Der Mieterverein zu Hamburg hatte kürzlich eine Auswertung der entsprechenden Beratungsanfragen zwischen Ende 2022 und Anfang 2025 vorgenommen. Ergebnis: In 93 Prozent der Fälle gab es Verstöße gegen die Mietpreisbremse, insgesamt hatten die betroffenen Mieter in diesem Zeitraum rund 805.000 Euro zu viel Miete gezahlt. Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins, spricht von der Spitze eines Eisbergs. „Wir brauchen die Mietpreisbremse dringender denn je“, betont der Chef von Hamburgs größter Mieterorganisation. „Und sie muss gemäß unseren Forderungen entfristet, bußgeldbewehrt und um ihre vielen Ausnahmen bereinigt werden.“

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