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„Bunkerbau? Quasi ein staatlicher Offenbarungseid“

Über Bunker und Zivilschutz in Hamburg sprach MJ-Redakteur Volker Stahl mit dem Bunker-Experten Ronald Rossig vom Verein „unter hamburg“.
Was hat Ihr Interesse an Bunker- und Zivilschutzanlagen geweckt?
Das ist eigentlich eine ‚Fortentwicklung‘ meines Interesses für die Zeit des Zweiten Weltkrieges gewesen, das mich anfänglich zur regionalen Stadtgeschichte gebracht und mein tieferes Interesse für die Bunker geweckt hat. Zum ersten Mal war ich mit sieben oder acht Jahren in den Bunkern auf Sylt unterwegs. Die standen damals noch, wie man es heute eher noch aus Dänemark kennt, offen am Stand herum.
Sie bieten Rundgänge zum Thema an. Wie reagieren die Menschen auf die gespenstische Enge in den Bunkern?
Unterschiedlich! Mit Klaustrophobie eigentlich die allerwenigsten. Wir betonen auch die Ähnlichkeit zu klassischen Kellerräumen, gut beleuchtet, ohne Zeitschaltung in der Beleuchtung und mit einer großen Klimaanlage ausgerüstet. Die wenigsten Gäste fürchten oder gruseln sich. Ängste oder Gedanken, ob man Bunker je wieder nutzen muss, kommen dann eher aus dem Erzählten zur Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg und der aktuellen Entwicklung. Tatsächlich werde ich heute natürlich häufiger mal gefragt, ob für mich ein Szenario wie in der Ukraine hier vorstellbar wäre.
Wie wurde Hamburg zur Bunker-Hauptstadt?
Als zweitgrößte Stadt Deutschlands war Hamburg in der Zeit des Zweiten Weltkriegs einer der Hauptrüstungsstandorte des Reichs, alleine wegen der Werftindustrie. Somit war die hiesige Arbeiterschaft kriegswichtiger als die Berliner. Hamburg hatte, auf 1,6 Millionen Einwohner gerechnet, rund 1.200 Bunkerbauwerke und gut 11.000 Luftschutzkeller erhalten – das war mehr als in Berlin. Dort gab es nur 900 Bunker bei doppelt so vielen Einwohnern! Wichtig ist aber zu betonen, dass kein einziger Bunker vor dem Krieg entstand. Erst am 1. September 1939 wurden die ersten Bunker gebaut. Anfänglich war man sparsam mit der Errichtung, die Bevölkerung sollte natürlich ob des ‚Blitzkrieges‘ und der ‚Blitzsiege‘ nicht beunruhigt werden. Bunkerbau ist ja quasi ein staatlicher Offenbarungseid – ein Staat der Bunker baut, ist angreifbar und könnte besiegt werden. Das sollte die Bevölkerung auf keinen Fall denken, dies aber in den Jahren ab 1943 in Hamburg schmerzhaft erfahren.
Ist Bunker gleich Bunker?
Wahrlich nicht, es gibt die sogenannten Luftschutztürme – Bauarten: Winkel und Zombeck – Splitterschutzbauten in Kettenbauweise, die sogenannten Röhrenbunker, Hochbunker oder Bunkerhäuser, Flaktürme und bombensichere Tiefbunker. Ab den 1970er-Jahren sprach man dann auch nicht mehr von Bunkern, die Gelder wurden in sogenannte Mehrzweckbauten investiert, Objekte mit einem hohen Nutzwert – auch in Friedenszeiten. Beispiele dafür sind U- und S-Bahn-Stationen und Tiefgaragen.
Wie viele Anlagen sind in Hamburg heute noch nutzbar?
Das ist eine hypothetische Frage, die ich so gar nicht präzise beantworten kann. Alle Objekte, die in irgendeiner Weise noch zugänglich sind, helfen vielleicht gegen Drohnenangriffe. ABC-sicher ist nichts mehr von alledem, weder die alten Dinger aus dem Zweiten Weltkrieg noch die aus der Zivilschutzbindung entlassenen Objekte. Auch die Bauwerke, die sich noch in der Schutzbindung befinden, sind es nicht!
Was ist beispielsweise mit den Bunkeranlagen am Hauptbahnhof, die in den 1960er-Jahren nutzbar gemacht wurden und jetzt langsam verfallen: Wären die schnell reaktivierbar?
Schnell bestimmt nicht! Alle Bunker müssten erst einmal gesichtet werden, dann müssten natürlich exakte Vorgaben über die Schutzwirkung vorhanden sein, anhand derer sich entsprechende Firmen orientieren und das Bauwerk danach ertüchtigen können. Auch müssten Gelder dafür vorhanden sein, europäisches, deutsches und kommunales Ausschreibungsrecht eingehalten und genügend Firmen gefunden werden. Wir sind in Deutschland – das dauert und dauert und dauert und dauert …
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