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„Mietenspiegel haben Befriedungswirkung“

Über den Mietenspiegel sprach MJ-Redakteur Volker Stahl mit Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, bis 2022 Amtsrichter in Dortmund und Herausgeber des mietrechtlichen Großkommentars Schmidt-Futterer.
Warum ist der Mietenspiegel für Städte wie Hamburg so wichtig?
Mietenspiegel sind das Radargerät zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Sie legen die Miete nicht fest, sie messen sie. Das ist in einem so intransparenten Markt wie den Mietenmarkt besonders wichtig. Deshalb haben sie generell eine sehr große Befriedungswirkung. Die überwiegende Zahl der Mieterhöhungsverfahren wird außergerichtlich anhand der Werte des Mietenspiegels erledigt. Nur ein kleiner Bruchteil der Verfahren landet vor Gericht. Dort geht es dann häufig um die Feststellung von Tatsachen, also zum Beispiel die Frage, ob bestimmte Ausstattungen vorhanden sind oder wer, Vermieter oder Mieter, sie geschaffen hat. Auch vor Gericht helfen Mietenspiegel beiden Seiten, Kosten zu sparen, da insbesondere dem qualifizierten Hamburger Mietenspiegel vor Gericht eine Vermutungswirkung zukommt, weshalb die Einholung eines teuren Gutachtens regelmäßig überflüssig ist.
Was würde passieren, wenn es in großen Städten keinen Mietenspiegel gäbe?
Das war bis vor kurzem in Bremen der Fall. Vermieter mussten dort Mieterhöhungen mit mindestens drei Vergleichswohnungen begründen. Die finden sich fast immer, aber es ist mehr als zweifelhaft, dass sie auch wirklich die ortsübliche Vergleichsmiete richtig wiedergeben. Deshalb ist die Einholung von Gutachten dort eher überproportional in Gerichtsverfahren erforderlich gewesen.
Was sagen Sie dazu, dass die Forderung des Mietervereins, die Mieten herauszufiltern, bei denen es Verstöße gegen die Mietpreisbremse gab, nicht erfüllt wurde?
Das ist aus meiner Sicht der größte Knackpunkt dieses Mietenspiegels. Mieten, die mehr als 110 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen und bei denen keine der Ausnahmen – rechtmäßige höhere Vormiete, Neubau nach dem 1. Januar 2014 oder Modernisierung – vorliegt, sind teilnichtig.
Wie bewertet die höchstrichterliche Rechtsprechung das?
Der Bundesgerichtshof fordert in ständiger Rechtsprechung, dass rechtswidrige Mieten zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht berücksichtigt werden dürfen. Da sind sich alle einig. Streit herrscht über das Wie, weil die Überprüfung jeder einzelnen Miethöhe aus der Datenerhebung für den Mietenspiegel faktisch nicht machbar ist und man sich wohl mit Wahrscheinlichkeiten und Plausibilitätsprüfungen zufrieden geben muss. Deshalb war die Forderung des Mietervereins absolut berechtigt. Ob der Mietenspiegel trotz des Unterlassens einer zumindest nachvollziehbaren und vor allem dokumentierten Prüfung der Rechtmäßigkeit der Mieten in Hamburg noch die anerkannten Grundsätze der Mietenspiegelerstellung erfüllt, ist deshalb problematisch und wird die Gerichte in Zukunft zu beurteilen haben. Ärgerlich ist die Verneinung des Problems auf jeden Fall.
Hat sich Ihrer Einschätzung nach die wissenschaftliche Qualität der Mietenspiegel im Laufe der Jahre verbessert?
Die empirischen Sozialforscher, die Mietenspiegel erstellen, werden das uneingeschränkt bejahen. Ich als Jurist sehe das etwas kritischer, auch wenn der inzwischen immense Aufwand, der betrieben wird, Einfluss auf die Qualität hat. Wichtiger als der letzte Cent mehr oder weniger in einer Mietenspiegelspanne ist aber die Befriedungsfunktion. Wenn diese durch immer höhere Anforderungen an den Mietenspiegel verlorengeht, dann hat sich der Aufwand nicht gelohnt. Zurück zum Radargerät oben: Auch im Straßenverkehr kommt es inzwischen immer wieder vor, dass komplizierte moderne Radarmessungen von den Gerichten nicht akzeptiert werden. Weniger kann auch mal mehr sein.
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