Ein Aushang an einem Laternenmast, wo jemand eine Wohnung als Nachmieter sucht.
Lesezeit ca. 8 Minuten
Artikel der Ausgabe: 01 / 2025

Titelstory: Das verzweifelte Ringen um ein Zuhause

„Junges Paar sucht…“

Geringes Angebot, anspruchsvolle Vermieter und Abzocke – die traurige Realität auf dem Hamburger Wohnungsmarkt

Nette Familie sucht ein neues Zuhause, mindestens 4 Zimmer, bis maximal 2.000 Euro warm“, ist auf einem Flyer kurz vor Weihnachten an der Pinnwand des Edeka-Markts auf dem Niendorfer Marktplatz zu lesen. Doch keiner der abtrennbaren Zettelchen mit dem E-Mail-Kontakt wurde abgerissen – womöglich warten die verbeamtete Sonderpädagogin, der Physiotherapeut und ihre beiden Kinder noch heute auf ein bezahlbares Wohnungsangebot. Die meisten Interessenten schalten Anzeigen im Internet, teilweise auf kostenpflichtigen Portalen – und finden trotzdem keine angemessene Bleibe. Willkommen bei der Wohnungs-Odyssee in Hamburg! Der Druck, der auf dem hiesigen Wohnungsmarkt lastet, ist hoch, denn die Stadt wächst weiter.

160.000 Menschen suchen eine neue Bleibe

Allein von 2011 bis 2022 ist die Bevölkerung in Hamburg um 10,5 Prozent auf 1.946.000 Menschen angewachsen. Tendenz: weiter steigend! Diese Entwicklung erklärt sich vor allem durch den Zuzug junger Haushalte. Dazu kommen Geflüchtete, Singles auf Jobsuche, und für Studierende ist Hamburg seit jeher attraktiv. Derzeit wollen laut der 2024 von der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) herausgegebenen „Studie zur Entwicklung des Wohnverhaltens  in Hamburg“ 160.000 Menschen umziehen oder sind als Neuankömmlinge auf der Suche nach einer Behausung in der Elbmetropole.

Hinter der abstrakten Zahl verbergen sich konkrete Schicksale oft verzweifelt Suchender. „Keine Kinder, keine Katzen, keine Hunde“ – Olivia (35) und Jan-Gerd Schulz (39) kennen nach drei Jahren Wohnungssuche die No-Gos vieler Vermieter und Makler aus dem Effeff. „Wir hatten viele seltsame Gespräche mit Anbietern von Wohnungen“, sagt Olivia, die seit der Geburt ihrer zweiten Tochter zusammen mit ihrem Mann dringend nach einer größeren Wohnung Ausschau hält. „Wir hatten Kontakt zu Eigentümern oder Maklern, die uns Besichtigungen verweigerten, weil wir Kinder haben. Einige verwiesen auf die Tatsache, dass zwei ‚zu viele‘ seien oder sie nicht das ‚ideale Alter‘ hätten.“ Olivia Schulz erhielt eine E-Mail von einem Makler, der eine Besichtigung verweigerte, weil er nur ein Paar oder ein Paar mit einem Kind „zulassen“ würde. Die Wohnung hatte zwei Schlafzimmer, war über 80 Quadratmeter groß und verfügte über einen Garten sowie einen Spielplatz auf der Hinterseite. Erst als die Schulzens auf den Portalen ihre sieben und zweieinhalb Jahre alten Töchter verschwiegen, trudelten vermehrt Angebote ein. „Aber das waren meist hochpreisige Wohnungen“, so Jan-Gerd. Die meisten hätte sich die Familie ohnehin nicht leisten können, trotzt doppeltem Einkommen: Er arbeitet Vollzeit in der Verwaltung einer Behörde, sie halbtags an der Hamburger Universität. Weiteres Problem: „Die Suche auf den zahlreichen Immobilienportalen kostet viel Zeit, auf Dauer viel Geld – und bringt meist nichts, was ich auch von vielen Freunde höre“, seufzt Olivia. Besonders ärgert sich das Paar über die sogenannten Premium-Angebote der Immobilienportale. „Wir sind seit 2022 aktives Mitglied bei Immoscout24, zuletzt als zahlende Mitglieder, und seit 2022 auch bei Immowelt“, sagt Jan-Gerd. Bei Immoscout24 hat sich die Familie allein seit Juli 2024 auf über hundert Wohnungen beworben, wurde aber nur zu fünf Besichtigungen eingeladen, „und nur, weil wir unsere Kinder aus unserem Profil entfernt hatten“. Kosten: 334 Euro an Mitgliedsbeiträgen für Immoscout24. Auch bei Immowelt haben sie sich seit 2024 auf rund 70 Wohnungen beworben – doch nur eine Besichtigung wurde ihnen angeboten.

Immobilienportale verdienen prächtig

Bei den Premium-Angeboten von Immoscout24 beträgt die Mindestlaufzeit drei Monate (29,99 Euro monatlich). Sechs Monate kosten je 19,99 Euro, zwölf Monate je 12,99 Euro. „Die Nummer 1 rund um Immobilien“ wirbt mit folgenden Vorteilen: „Deine Kontaktanfrage immer oben im Postfach des Anbieters. Exklusive Anzeigen mit vorzeitiger Kontaktaufnahme. Zusatzinformationen erfahren und Chancen ermitteln. 20 Prozent Rabatt auf den SCHUFA-Bonitätscheck.“ Jeden Monat „unterstützt“ das Portal 19 Millionen Menschen bei der Suche, beim Kauf, der Finanzierung oder dem Umzug ins neue Zuhause. Das Unternehmen hat 1.100 Mitarbeiter und verbucht einen Gewinn von 509,1 Millionen Euro. „Die Nachfrageentwicklung für Mietwohnungen in Hamburger Bestandsgebäuden ist zwischen dem vierten Quartal 2023 und dem vierten Quartal 2024 um 16 Prozent gestiegen“, sagt Immoscout24-Sprecher Arne Hartwig. Die meistgesuchte Wohnung Hamburgs – 2 Zimmer, 57 Quadratmeter, 620 Euro Kaltmiete – habe 277 Anfragen auf sich gezogen. Und was bringen die Premium-Angebote? „MieterPlus kann die Wohnungssuche beschleunigen“, antwortet Hartwig, „durch die priorisierte Platzierung im Postfach der Vermieter:innen, den exklusiven Zugang zu neuen Inseraten und die digitale Bewerbermappe erhöhen MieterPlus-Nutzerinnen und Nutzer ihre Chancen, schneller eine positive Rückmeldung zu erhalten.“ Die Chance eine Antwort zu erhalten, sei für Premium-Nutzer im Schnitt um 20 Prozent höher. Zudem erhielten sie 50 Prozent mehr Besichtigungseinladungen.

Fünfköpfige Familie auf 30 Quadratmetern

Andere Personengruppen haben es noch schwerer auf dem Wohnungsmarkt als die Familie Schulz. „Menschen mit ausländisch klingendem Namen haben kaum Hoffnung, eine Wohnung zu finden“, sagt der erfahrene Berater des Mietervereins Wilfried Lehmpfuhl, „wer Abdullah heißt und aus Ägypten kommt, hat keine Chance.“ Auch Menschen, die mit digitalen Angeboten nicht klarkommen, bleiben meist auf der Strecke. Weitere Hindernisse sind ein zu geringes Einkommen und mangelndes Durchsetzungsvermögen: „Nur die Stärksten kommen durch“, so Lehmpfuhl, „und wer sich von den Heerscharen der Bewerber entmutigen lässt, hat schon verloren.“

Aussichtslos schien die jahrelange Wohnungssuche der Familie E. Der Vater stammt aus Guinea-Bissau, die Mutter und die drei Kinder haben einen portugiesischen Pass. „Beide haben einen Job und sind unglaublich fleißig“, erzählt Lehmpfuhl, der sich seit langem ehrenamtlich um die fünfköpfige Familie kümmert, die in einem Zimmer auf 30 Quadratmetern lebt. Der älteste Sohn ist mittlerweile zu seiner Tante nach Portugal gezogen, und der 2015 geborene Sohn leidet an einer schweren Erkrankung. Die heilpädagogische Expertise besagt, dass er unbedingt ein eigenes Zimmer benötigt. Als Lehmpfuhl bei der SAGA wegen einer größeren Wohnung anfragte, hieß es zunächst, da könne man nichts machen. Dass die Familie im März 2025 nach langer vergeblicher Suche doch etwas Passendes gefunden hat, aber erst, nachdem er eine Petition beim Senat eingereicht hatte, bezeichnet Lehmpfuhl als „nachträgliches Weihnachtsgeschenk“.

Am Ende half nur eine Senats-Petition

In diesem Zusammenhang überrascht, dass laut der oben genannten Studie derzeit 85 Prozent der Hamburger Haushalte mit ihrer Wohnsituation eher oder sehr zufrieden sein sollen. Die Untersuchung verschweigt aber auch nicht die Auswirkungen des „Echo-Effekts“ auf den Hamburger Wohnungsmarkt – verursacht durch die Kinder der Babyboomer und die steigende Geburtenrate. So ist die Zahl der Haushalte mit Kindern von 2011 bis 2019 um 8,9 Prozent auf rund 187.000 gestiegen. „Diese Entwicklung hat maßgeblich zu einer deutlichen Verschärfung der Konkurrenzsituation im Segment der familiengerechten Wohnungen beigetragen“, konstatieren die Macher der Studie. Die Folge: 391.000 Haushalte (39 Prozent) sind entweder bereits jetzt auf der Suche nach einer Wohnung oder wollen sich in den nächsten drei bis fünf Jahren verändern. 61 Prozent, 621.000 Hamburger Haushalte, wollen nicht umziehen und in der aktuellen Wohnung verbleiben. Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) erklärt die große Zufriedenheit mit dem „Erfolg unserer Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre“. Tatsächlich legte der Wohnungsbestand von 2011 und 2022 um 9,3 Prozent auf 992.600 Wohnungen zu. Zugleich konstatiert Pein, dass Single-Haushalte mit geringem Einkommen und junge Familien unterversorgt seien.

Von einer eigenen Wohnung kann der „Couchschläfer“ Abdel A. nur träumen. Er gehört zu der Klientel, um die sich Lehmpfuhl kümmert. Abdel A. arbeitet als Gabelstaplerfahrer ohne Wohnsitz, laut Lehmpfuhl ein „super ordentlicher Mensch“, der bei Freunden und Bekannten übernachtet: „Mal hier, mal dort.“ Eine teure Wohnung kann und will er sich von seinem geringen Einkommen nicht leisten. Ihm ist es wichtiger, seine Familie in Ägypten zu unterstützen, wie er dem Juristen des Mietervereins anvertraut hat. Wohnungslosigkeit drohte auch Gebriele B. (57) aus Eimsbüttel, der wegen Eigenbedarfs gekündigt worden war. Nach nervenaufreibender Suche fand sie eine Ersatzwohnung in Hamm, die sie aber nur als Zwischenlösung sieht. „Ich habe mich auf diversen Online-Portalen registriert“, erzählt die 57-Jährige. Sie versendete „mehrere hundert Bewerbungen“ – und fand nichts. „Die Angebote waren meist nur ein, zwei Minuten im Netz. Wer berufstätig ist, kann nicht immer vor dem Rechner sitzen und sofort reagieren.“ Die Monate verstrichen, und nach Ablauf der Frist erhielt sie eine Räumungsklage. „Die erfolglose Suche und die Klage bedeuteten eine immense Belastung für mich“, erinnert sich B. „In dieser Zeit habe ich Privates und den Job weitgehend ruhen lassen, weil die Wohnungssuche mich so stark beansprucht hat.“ Nun hat sie zwar endlich eine neue Wohnung und ist den Druck los, aber auch ihr gewohntes Umfeld, in dem sie sich zwei Jahrzehnte bewegt hat.

Eine gute Nachricht zum Schluss: Nach vielen erfolglosen Versuchen fand Familie Schulz im März endlich eine 82 Quadratmeter große Wohnung mit 3,5 Zimmern. Allerdings nicht mithilfe eines Immobilienportals, sondern dank eines Tipps aus dem Freundeskreis.

Ihre Meinung zählt!

Schicken Sie uns Ihr Feedback zu unseren Artikeln, Themenideen oder Hinweise per E-Mail an briefe@mieterjournal.de – wir freuen uns auf Ihre Ideen und Vorschläge!