Lesezeit ca. 3 Minuten
Wohnen an der Knastmauer

Auf einem Teil der weltberühmten Justizvollzugsanstalt „Santa Fu“ ist die Erstellung von Wohnraum angedacht.
Ein Areal mit „Tradition“: Ende des 19. Jahrhunderts wurde in den heutigen Stadtteilen Fuhlsbüttel und Ohlsdorf ein 2000 Jahre altes Gräberfeld entdeckt, seit 1869 befand sich dort eine „Korrektionsanstalt“. Arbeit in der Landwirtschaft sollte auf 200 „liederliche Personen“, Bettler oder Zuhälter, „bessernd, erziehend und sittlich reinigend einwirken“.
Vor 150 Jahren befanden die Stadtväter, der abgelegene Ort sei ideal für den Bau eines „Centralgefängnisses“. 1875 begannen die Arbeiten. Am 16. August 1879 wurde das später sogenannte „Haus I“ eingeweiht. Auf 80.000 Quadratmetern entstand am Suhrenkamp eine eigene Stadt für Straftäter mit Kirche und Krankenhaus. Außerhalb der fünf Meter hohen Mauer wurden bereits seit 1869 bis 1906 Dienstwohnungen für das Wachpersonal errichtet, sogenannte Wärterhäuser, die heute – wie die historische Gefängnismauer und der Großteil der Gebäude innerhalb der Justizvollzugsanstalt – unter Denkmalschutz stehen. 1891 kam ein Gefängnis für Frauen hinzu (Haus IV), 1892 eines für Jugendliche (Haus III). 726 Männer wurden in dem von 1901 bis 1906 errichteten Haus II untergebracht.
Unter den rund 1.400 Häftlingen bildeten um 1906 Arbeiter und Seeleute mit 40 Prozent die größte Gruppe. 22 Prozent waren Handwerker, elf Prozent waren Land- oder Gastwirte, weitere elf Prozent Kaufleute gewesen und vier Prozent hatten als Dienstboten gearbeitet, bevor sie kriminell wurden. Die Zahlen hatte Georg Gennat erhoben, der 18 Jahre lang bis 1912 Direktor des Gefängnisses war. Von 1933 bis 1945 diente das Haus I als „Polizeigefängnis“ und war Teil des Konzentrationslagers Fuhlsbüttel („KoLaFu“), wo die Nationalsozialisten vor allem politische Gefangene und Widerstandskämpfer wie die Mitglieder des Hamburger Zweigs der Weißen Rose einkerkerten und oft zu Tode misshandelten.
Der heute über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte Spitzname „Santa Fu“ entstand erst spät. Er geht zurück auf die behördeninterne Abkürzung „St. Fu“, die von der Presse aufgegriffen wurde, als sie seit den 1970er-Jahren über spektakuläre Fluchten unter Schlagzeilen wie „Santa Fu und raus bist du“ berichtete. Doch entwichene Gefangene gab es bereits vorher. Von 1921 bis 1923 waren es 371.
Nun soll die Justizvollzugsanstalt nicht nur modernisiert, sondern teilweise auch umgewidmet werden. Die denkmalgeschützten Haftgebäude Haus I und Haus III der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel werden aus dem Gefängnisareal ausgegliedert und einer neuen Nutzung zugeführt. Im Mai war der offizielle Baustart für das Projekt „Standortentwicklung Fuhlsbüttel“.
„Im Zuge der Umstrukturierung entstehen in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel ein neues Schul- und Ausbildungsgebäude sowie ein neues Verwaltungsgebäude. Zudem werden nicht mehr benötigte Gebäude der Justizvollzugsanstalt abgerissen“, vermeldet die Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. Was auf den frei werdenden Flächen entstehen soll, ist noch offen. Derzeit prüft die Behörde verschiedene Nachnutzungsmöglichkeiten – von Wohnraum, Hotelnutzung, Coworking-Spaces, Gastronomiebetrieb bis hin zu studentischem Wohnen. Lernen mit Blick auf die Knastmauer dürfte nicht nur angehende Kriminologen begeistern.
Im direkten Umfeld der JVA ist bereits einiges passiert: Die Wärterhäuser westlich des Gefängnisses in der Nesselstraße wurden von der Eigentümerin SAGA saniert und wieder vollständig vermietet. „Gemeinsam mit den Neubauten ‚Am Weißen Berge‘ bilden sie ein gelungenes, neues Wohnquartier“, lobt der Denkmalverein auf seiner Website. Außerdem wurde der Verkauf der Wärterhäuser Am Hasenberge und am Suhrenkamp beschlossen. Im Oktober 2021 übernahm die SAGA die Gebäude von der Justizbehörde und begann mit den Sicherungsarbeiten an Fassaden und Fenstern sowie auf den Grundstücken.
Ihre Meinung zählt!
Schicken Sie uns Ihr Feedback zu unseren Artikeln, Themenideen oder Hinweise per E-Mail an briefe@mieterjournal.de – wir freuen uns auf Ihre Ideen und Vorschläge!