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Schneller bauen an der Dratelnstraße

Zu Jahresbeginn konnten Spaziergänger in Wilhelmsburg ganz Erstaunliches beobachten: Gewaltige „Verpflanzmaschinen“ gruben bis zu 30 Jahre alte – und entsprechend große – Bäume samt Wurzelwerk aus, um sie ein paar 100 Meter entfernt, an den Rathauswettern, wieder einzupflanzen. Neun Erlen und eine Stieleiche konnten nach Angaben der Internationalen Bauausstellung (IBA) auf diese Weise vor dem sicheren Tod durch die Baumsäge gerettet werden. Ziel war es, den ökologischen Wert der Bäume zu erhalten – auch wenn Großverpflanzungen nach wie vor eine heikle Angelegenheit sind und der Erfolg keineswegs gesichert ist. Um den Verdunstungsstress zu minimieren, haben die Bäume laut IBA daher anschließend einen Kronenschnitt erhalten. Kay Gätgens, Geschäftsführer der IBA, sprach von einer „ökologisch, aber auch ökonomisch sinnvollen Aktion“. Im Rahmen der Quartiersentwicklung werde man solche Maßnahmen „zukünftig immer prüfen und hoffentlich auch umsetzen können“.
Das Wilhelmsburger Rathausviertel ist eines der drei großen Neubaugebiete auf der Elbinsel (neben dem Elbinselquartier und dem Spreehafenviertel), das die IBA im Auftrag der Stadt Hamburg derzeit entwickelt. Rund 1.900 Wohnungen sollen hier entstehen, mit den ersten fertigen Häusern wird in etwa vier Jahren gerechnet. Das Besondere: Ein Teil des circa 32 Hektar großen Areals dient als Projektfläche für den sogenannten „Hamburg-Standard“.
Um die 10.000 Neubauwohnungen pro Jahr zu erreichen, die Hamburg nach wie vor als Ziel ausgibt, soll schneller, günstiger und einfacher gebaut werden können. Eine Trittschalldämmung für Balkon und Dachterrasse beispielsweise soll künftig wegfallen dürfen, Flure benötigen keine Fußbodenheizung mehr. Anstelle von teurem wasserundurchlässigem Beton im Keller (durchaus ein Argument in tiefliegenden Stadtteilen wie Wilhelmsburg) kann eine Drainageanlage zum Einsatz kommen. Weiterhin müssen nicht mehr alle Fenster per Feuerwehrdrehleiter erreichbar sein, normale Steckleitern reichen aus – auf diese Weise müssen weniger Stellflächen für große Einsatzfahrzeuge gebaut werden. Auch beim Thema Barrierefreiheit werden Abstriche gemacht: Beispielsweise muss nicht mehr in jedem Aufzug eine Krankentrage hineinpassen. Generell sollen bürokratische Vorgaben deutlich zurückgeschraubt werden.
Den „Hamburg-Standard“ hatte Bausenatorin Karen Pein im Februar dieses Jahres vorgestellt. Nach Angaben der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) fallen derzeit rund 4.600 Euro Baukosten pro Quadratmeter Neubau an. Ziel der BSW sei es, die Kosten um mindestens ein Drittel zu senken, also um 1.500 Euro. Laut Pein konnte die Behörde im Planspiel – siehe oben genannte Beispiele – sogar 2.000 Euro einsparen. Die Senatorin betonte jedoch, Hamburg-Standard bedeute nicht „Normhaus von der Stange“. An dem Projekt hatten laut Angaben der BSW 200 Fachleute und 100 Institutionen ein Jahr lang gefeilt. Es entstand die „Initiative kostenreduziertes Bauen“, die den Planern und Bauherren begleitend zur Seite stehen soll. Die Einsparung von 2.000 Euro pro Quadratmeter setzt sich zusammen aus 600 Euro im Bereich Baukonstruktion und Gebäudetechnik, 1.000 Euro für den Verzicht auf bautechnische Elemente sowie 400 Euro im Bereich Planung und Genehmigung.
Laut IBA-Pressesprecher Arne von Maydell sollen die ersten Häuser Mitte 2029 stehen. „Zuvor müssen jedoch die erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt werden.“ Der Hamburg-Standard-Anteil liegt bei 35 Prozent der Gesamtfläche. „Die Konzeptausschreibungen gehen frühestens Mitte des Jahres raus“, so von Maydell. Der übrige Teil des Areals wurde vorvermarktet – hier bauen unter anderem die SAGA, das Studierendenwerk sowie „Fördern & Wohnen“. Auf dem Hamburg-Standard-Drittel muss die Vorgabe für günstiges und einfaches Bauen eingehalten werden, auf der übrigen Fläche kann man ihr nachkommen, muss es aber nicht. „Wir hoffen natürlich darauf, dass der Hamburg-Standard Schule macht“, sagt von Maydell. Insgesamt entstehen in Wilhelmsburg innerhalb der nächsten Jahre rund 4.800 Wohnungen, davon 20 Prozent für Baugemeinschaften. Um Bauland zu schaffen, wurde unter anderem die Wilhelmsburger Reichsstraße nach Osten neben die dortigen Bahngleise verlegt.
2024 hatte der Senat die Hamburgische Bauordnung überarbeitet und verschlankt. Nun müssen Neu- und Umbauten kleinerer Häuser nur noch angezeigt werden. Meldet sich das Amt nicht innerhalb von zwei Monaten zurück, gilt der Antrag als genehmigt. Bei Aufstockungen um eine Etage entfällt die Fahrstuhlpflicht. Bei guter Anbindung des Grundstücks durch Bus und Bahn müssen weniger Parkplätze gebaut werden. Um Wartezeiten zu verkürzen, soll der Austausch mit dem Bauamt deutlich vereinfacht werden. Auch bundesweit gab es Änderungen: So soll das Aufstellen von Bebauungsplänen laut neuem Baugesetzbuch künftig nur noch ein Jahr statt wie bisher zwei bis drei Jahre dauern. Ebenso beschlossen wurde ein vereinfachter Umweltprüfbericht.
Ebenso wenig scheint gesichert, ob der schnellere und günstigere Wohnungsbau tatsächlich für günstigere Mieten sorgen wird. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sprach in dem Zusammenhang von „weiteren 100.000 Wohnungen“, die nötig seien, um eine spürbare Entlastung zu bringen. Bei 10.000 Wohnungen jährlich würde man also noch zehn Jahre darauf warten müssen.
Hohe Mieten entstehen auch und insbesondere durch Spekulation mit Baugrund – wie im Fall des Holsten-Areals in Altona. Nach mehrfachem Weiterverkauf hatte sich der Verkehrswert der rund 8,6 Hektar großen Fläche von ursprünglich 45 Millionen Euro auf zeitweise 364 Millionen Euro hochgeschraubt, ohne dass in der Zwischenzeit eine Bautätigkeit zu erkennen gewesen wäre. Mit „Strafzinsen“ auf bauliches Nichtstun sowie höheren Hebesätzen für unbebaute, baureife Grundstücke will die Stadt dem nun einen Riegel vorschieben. „Vorkaufsrecht, Baugebot, Grundsteuer C und Erbpacht machen brachliegende Grundstücke teuer, aber Wohnen günstig“, sagt der Bürgerschaftsabgeordnete und Stadtentwicklungsexperte der SPD, Mithat Capar, „solange Politik den Bebauungsplan nicht ändert, bleibt ein Areal wie das Holsten-Gelände schlicht Industriegebiet“. Wer Wohnungen wolle, müsse sich zuerst auf klare Quoten, Fristen und Mietobergrenzen mit Stadt und Bezirk einigen.
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