Das Wahrzeichen vom Binnenhafen, der gelbe Kran

Ein Stadtteil zwischen Wellen und Wandel

Nur wenige Hamburger Stadtteile sind derzeit so spannend wie der Binnenhafen Harburg. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre hat sich das Quartier zwischen Seehafen und den Harburger Elbbrücken vom Industrie- und Gewerbe-Areal hin zum attraktiven Wohnviertel entwickelt. Moderne Bürohäuser, alte Hafenspeicher und Kontore, Fabrikgebäude und neue Wohnhäuser säumen die Ufer des Binnenhafens. Eine Schleuse trennt das Hafenbecken vom Strom der Elbe.

Bild von Werner Pfeifer an der Binnenalster

Mit Werner Pfeifer durch Harburg.

Wer über den Binnenhafen Harburg berichten will, kommt an Werner Pfeifer kaum vorbei. Der 64-jährige ist Musiker, Journalist (Hamburger Abendblatt, NDR) und Betreiber der Fischhalle. Der „Wohnschiffer“ lebt seit vielen Jahren im Binnenhafen. Derzeit hat er sein schwimmendes Heim in der Nähe der Harburger Schleuse festgemacht. Kürzlich feierte er mit Team, Freunden und Nachbarn den achten Geburtstag seiner „Fischhalle“. Ein kleines aber feines Kultur-Zentrum am Kanalplatz, das von den Besuchern liebevoll „Binnenhafen-Wohnzimmer“ genannt wird. „In Sachen erschwingliche Wohnraumangebote ist allerdings noch Luft nach oben“, findet unser Stadtteil-Guide.

Für unseren Rundgang haben wir uns mit unserem Begleiter direkt an der Fischhalle verabredet. An der Vorderseite des 1906 erbauten Gebäudes rumpelt wochentags der Lkw-Verkehr vorbei, im hinteren Bereich der Fischhalle bietet eine kleine Terrasse direkt am Wasser Möglichkeiten zum Entspannen. In ausrangierten Fischkisten blühen gerade Stiefmütterchen, die ihre Blütenköpfe in Richtung Sonne recken. Zweimal in der Woche wird in der Fischhalle ein Mittagstisch angeboten, sonntags Kaffee und Kuchen, außerdem stehen regelmäßig Konzerte, Lesungen und Ausstellungen auf dem Programm.

„Ursprünglich wurde an diesem Standort tatsächlich Fisch verkauft“, erzählt Pfeifer. Aber bereits 1908 wurde die Halle umgewidmet: Der Güterumschlag im Binnenhafen nahm zu, man brauchte einen Raum für die Auszahlung der Löhne. Aus der städtischen Fischhalle wurde die Hafenarbeitervermittlungsstelle (HVS). Mit Zunahme des Containerverkehrs verloren Umschlagbetriebe jedoch an Bedeutung, Hafenarbeiter ihre Jobs. Die HVS wurde geschlossen. Die Fischhalle blieb im Besitz der Stadt. Sie wurde unterschiedlich genutzt, am Ende durch eine Autowerkstatt als Pächterin. Anschließend fiel sie in einen tiefen Dornröschen-Schlaf, aus dem Werner Pfeifer sie 2017, nach langen Verhandlungen mit den zuständigen Behörden, wieder erweckte.

Maritimes Flair pur: täglich per Beiboot zum Wohnschiff

Zu unserer großen Freude überrascht unser Stadtteil-Führer uns mit der Information, dass wir unseren heutigen Rundgang nicht zu Fuß, sondern stilecht maritim auf dem Wasserweg absolvieren werden. Begeistert klettern wir an Bord des kleinen roten Beiboots, das unserem Kapitän als tägliches Transportmittel von seinem Wohnschiff zur Fischhalle und zurück dient. „Alle anderen Wege versuche ich möglichst mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen“, erzählt Pfeifer, während er uns gut gelaunt durch das Fahrwasser steuert. Dank guter Anbindung an S-Bahn und Busse sei man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in rund 20 Minuten in der Hamburger Innenstadt. Noch schneller sei man im Harburger Centrum, wo sich zwei Shoppingcenter, Arztpraxen, Banken, eine Außenstelle des Mietervereins, ein Kino und ein Wochenmarkt befinden.

Heute genießen wir aber bei traumhaftem Wetter den Bootsausflug und erfahren dabei Interessantes über die Entwicklung des Binnenhafens vom Gewerbe- hin zum Wohngebiet. Wir passieren die KulturWerkstatt am Kanalplatz und werfen einen Blick auf den denkmalgeschützten gelben Kulturkran gegenüber. In zwei ausrangierten Güterwaggons finden dort Livekonzerte statt. Es gibt dort Bänke und bequeme Holzliegen direkt am Wasser, wo man in der Sonne dösen kann. Im Sommer werden auf der großen Freifläche Veranstaltungen wie das Binnenhafenfest und der Discomove gefeiert. Auf dem Weg zum Yachthafen passieren wir den Büroturm Channel Tower am Veritaskai und wundern uns, dass das zentral gelegene Filetstück gleich nebenan brach liegt. Auf dem langgezogenen Gelände, wo früher der Beach Club Harburg Partys veranstaltete, wuchern jetzt ungehemmt Löwenzahn und Giersch. Wir fragen uns, ob dort womöglich jemand in die Wildkräuterproduktion einsteigen will? Falsch. „Ursprünglich sollte an diesem attraktiven Standort ein weiterer Bürokomplex entstehen“, weiß unser Begleiter. Der Investor und jetzige Eigentümer des Grundstücks, womöglich ein Unternehmen aus den USA, ist offensichtlich bereits seit längerer Zeit nicht erreichbar. „Das ist das Traurige: Den Heuschrecken geht es leider nicht um eine positive Entwicklung für den Stadtteil und die dort wohnenden Menschen, sondern einzig um ihren Profit“, hat Werner Pfeifer im Laufe der Jahre, in denen er an diversen Ausschusssitzungen des Bezirks teilgenommen hat, immer wieder live miterlebt.

Mittlerweile sind wir an der Harburger Schleuse vorbei getuckert und passieren Hausboote in den verschiedensten Bauweisen. Die Bewohner haben es sich auf ihren Wohnschiffen mit Blumentöpfen, Lampions und Liegestühlen gemütlich gemacht. Wir Landratten wollen von Pfeifer wissen, wie es sich so lebt auf dem Wasser. „Das ist schon etwas Besonderes, wenn man morgens vom Geschrei der Möwen und dem Blubbern von Schiffsmotoren geweckt und abends vom Rhythmus der Wellen in den Schlaf gewiegt wird“, schwärmt der Wohnschiffer. Als er vor rund 20 Jahren in den Binnenhafen zog, gab es dort rund etwa 400 Bewohner. Heute seien es ungefähr 4.000, schätzt unser Begleiter. Das sei eine Tendenz in die richtige Richtung, aber das Angebot an erschwinglichen Miet- und Sozialwohnungen sei deutlich zu niedrig.

Aber es tut sich etwas, wenn auch langsam: Die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde hat kürzlich einen ersten Rahmenplanentwurf für das Gebiet am östlichen Hafenrand von der Nartenstraße im Norden bis zum südlich gelegenen Harburger Zentrum vorgestellt. Geplant sind unter anderem mehrere fünf- bis achtstöckige Wohngebäude am östlichen Hafenrand und eine grüne Promenade bis in die Harburger Innenstadt. Das „Quartier Maritim“ in der Harburger Schloßstraße bietet bereits jetzt 59 Wohnungen und Penthäuser in Wassernähe. Auch im Bereich Veritas­kai und Karnapp, zwischen den alten Kontorhäusern am Kaufhauskanal, am westlichen Bahnhofskanal und in der Theodor-Yorck-Straße sind mehrere kleine Wohnsiedlungen entstanden. Den täglichen Kleinkram kaufen die Anlieger im Supermarkt am östlichen Bahnhofskanal ein. Restaurants, Bistros, Bäckereien, eine Apotheke, Kindergärten und Senioren-Wohnanlagen runden die Nahversorgung vor Ort ab. „Was im Binnenhafen fehlt, sind Cafés direkt am Wasser“, regt Pfeifer an.

In der Zwischenzeit hat Werner Pfeifer das Boot in Richtung Schlossinsel gesteuert. Das als Harburger Schloss bekannte Gebäude an der Bauhofstraße lässt auf den ersten Blick weder auf eine Burg noch auf eine Schlossanlage schließen. Dabei gilt das Gebäude in seinem Kern als das älteste bauliche Zeugnis des heutigen Stadtteils Harburg. Im Frühjahr 2017 begannen Archäologen mit Grabungen, um Relikte der vermutlich tausend Jahre alten „Horeburg“ zu entdecken. Einen Gewölbekeller, der auf das Jahr 1440 datiert wird, haben Wissenschaftler vom Archäologischen Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt und bieten dort jetzt eine kleine Dauerausstellung an. Der obere Bereich des Harburger Schlosses ist in Mietwohnungen aufgeteilt.

Nachdem wir die Schlossinsel umrundet haben, kehren wir zurück zur Fischhalle. Nach dem Anlegen schlägt Werner Pfeifer vor, am Ende doch noch ein kleines Stück zu Fuß zu gehen. Er möchte uns zum Abschluss noch den „Kultur-Kiosk“ am Kanalplatz/Ecke Blohmstraße zeigen. Die „Trinkhalle seit 1876“ gilt als ältester Kiosk der Stadt Hamburg. „Früher gab es dort Pferdewurst, Pornos und Bier“, schmunzelt Pfeifer. Ein Verein verhinderte 2015 den geplanten Abriss der Bude und bietet seither auf der drei Quadratmeter kleinen Fläche wechselnde Ausstellungen und Konzerte.

„Zur kleinen Schwester der HafenCity wollen wir aber auf gar keinen Fall mutieren“, stellt Werner Pfeifer klar. Wenn überhaupt, dann möchten die Menschen aus dem Binnenhafen, dass ihr Stadtteil als eigenwilliger, frecher Verwandter der aufgebrezelten HafenCity wahrgenommen wird.

Harburg in Zahlen

  • Einwohner: 29.237
  • Fläche: 3,9 km²
  • Bev. mit Migrationshintergrund: 67 %
  • Wohnungen: 13.776
  • Sozialwohnungen: 1.371
  • Ø Personen pro Haushalt: 1,7
  • Ø Wohnungsgröße: 59,3 m²
  • Ø Miete (Neuabschluss): 11,95 Euro/m²

(Quellen: Statistikamt Nord, Gymnasium Ohmoor)

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