Eine Waage wo jeweils ein Gewicht auf jede Seite gestellt wird mit den Beschriftungen: Eigenbedarf und Mieterschutz.

Titelstory: Kündigung im Briefkasten? Ihre Rechte

Erst per Du, dann per Anwalt

Kündigungen von Mietwohnungen wegen Eigenbedarfs nehmen dramatisch zu – oft ist der Anspruch vorgeschoben

Eigentlich fing alles gut an. Lukasz Ka. und sein Lebensgefährte Eryk Ko. zogen 2017 in das Haus von Vermieterin V. im Stadtteil Schnelsen ein. Beide Parteien verstanden sich gut, bald war man beim „Du“. 2020 stimmte die Vermieterin dem Wunsch ihrer Mieter zu, aus dem ersten Stock in die frei gewordene Wohnung im Erdgeschoss umzuziehen. „Wir hatten Vertrauen zu ihr, der Kontakt war gut“, sagt Lukasz Ka. 2022 änderte sich das. All die Jahre zahlten die Mieter eine Warmmietpauschale, plötzlich erhielten sie eine handschriftlich erstellte Betriebskostenabrechnung, laut der sie 800 Euro nachzahlen sollten. Später hieß es, 500 Euro seien auch okay. Seriös geht anders. Die Abrechnung war dilettantisch, die Aufstellung nicht nachvollziehbar, außerdem war die gesetzliche Abrechnungsfrist verstrichen, sprich: Die Forderung war obsolet. Auch spätere Betriebskostenabrechnungen waren fehlerhaft. Im Januar erhielten die 32 und 33 Jahre alten Männer eine Mieterhöhung um zehn Prozent. Weil ihnen das Gebaren der Vermieterin merkwürdig vorkam, schalteten sie den Mieterverein zu Hamburg ein. Dort stellte Rechtsanwalt Jonas Suritsch fest, dass die Erhöhung nicht zulässig ist, weil sich die geforderte Miete deutlich über der Vergleichsmiete des Mietenspiegels bewegte. Auch die Wohnfläche war mit 66 statt 59 Quadratmeter falsch berechnet.

Nun schaltete die Vermieterin einen Anwalt ein, der das Erhöhungsbegehren fälschlicherweise damit begründete, dass es sich um ein Zweifamilienhaus handele und der Mietenspiegel deshalb nicht greife. Doch es sind drei Wohnungen. „Das war ihr wohl alles zu viel“, sagt Ka., es folgte die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Zurzeit lebe die Vermieterin mit ihrem Lebensgefährten am Kaiserstuhl, beabsichtige aber in Anbetracht ihres Alters – sie ist Ende 60 – in ihre „ursprüngliche Heimatstadt“ zurückzuziehen, heißt es in der Begründung des anwaltlichen Schreibens, in dem auch von der Beschwerlichkeit des „hügeligen Umfelds“ und „orthopädischen Problemen“ die Rede ist. So weit, so gut. Merkwürdig sei aber, so Ka., dass sie 2024 ihm und einer weiteren Mietpartei ein Kaufangebot unterbreitet und einen Gutachter zur Wertermittlung beauftragt hatte. „Dies spricht klar gegen eine Nutzung zu Eigenzwecken“, betont Ka.

„Diese Zeit war für uns total belastend. Mein Partner hatte gerade den Tod seiner Mutter zu beklagen, und wir mussten uns um eine neue Wohnung bemühen.“ Kündigungsfrist: drei Monate! Und das in Anbetracht des engen Hamburger Wohnungsmarkts. „Das war sehr anstrengend“, seufzt Ka., der Widerspruch gegen die Kündigung einreichte und zusammen mit seinem Partner 250 Angebote prüfte. Von den hohen Preisvorstellungen waren beide überrascht. „Wir dachten immer: keine Chance!“ Doch sie hatten Glück: Nach monatelanger Suche fanden die beiden endlich eine Wohnung, sogar in der Nähe ihres alten Umfelds! Daraufhin zogen sie den Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung zurück, behielten sich aber Schadensersatzansprüche für den Fall vor, „dass der im Kündigungsschreiben geltend gemachte Eigenbedarf nicht angetreten wird“. Die Mieter hielten aber an der Erstattung der wegen des Verstoßes gegen die Mietpreisbremse und der falsch angegebenen Wohnfläche zu viel gezahlten Beträge fest!

„Zahl der Eigenbedarfskündigungen ist seit Jahren hoch, Tendenz steigend“

Die Mietervereine beobachten zurzeit bundesweit eine deutliche Zunahme von Kündigungen wegen Eigenbedarfs, vor allem auf engen Wohnungsmärkten in Groß-und Universitätsstädten. Eigenbedarfskündigungen waren im Jahr 2024 laut einer Erhebung vom Deutschen Mieterbund (DMB) mit 7,2 Prozent der fünfthäufigste Streitgegenstand. Der Mieterverein zu Hamburg erhält pro Woche zwei bis drei neue Anfragen wegen einer Eigenbedarfskündigung, sagt der Vereinsvorsitzende Dr. Rolf Bosse: „Die Zahl ist seit Jahren konstant hoch, Tendenz eher steigend.“

Julia S. und ihr Lebensgefährte Stefan H. (Namen von der Redaktion geändert) leben in ihrer Wohnung momentan nur auf Abruf. Sie hatten der Vermieterseite wiederholt Feuchtigkeit und Schimmel gemeldet. Bald wurde ihnen schriftlich mitgeteilt, dass die Eigentümerin die Wohnung selbst übernehmen würde, wenn „es weiterhin zu Problemen“ komme. Mittlerweile hat das Paar sein Bett ins Wohnzimmer gestellt, weil das Schlafzimmer schimmelverseucht ist. „Wir mussten sogar schon Kleidungsstücke wegwerfen“, berichtet Julia S. Einmal wollte sie ein schwarzes Top anziehen und bemerkte, dass sich darauf eine „undefinierbare Masse“ bewegte. „Ich bin fast ausgeflippt“, sagt sie und schüttelt sich. Dann zeigt sie auf ihrem Handy ein Video, in dem kleine „Tierchen“ auf einem Kleidungsstück zu sehen sind. Die Mieter haben sich mittlerweile zu Hobby-Entomologen fortgebildet und einige „Tierchen“ als Exemplare der Gattung Psocoptera identifiziert, im allgemeinen Sprachgebrauch als Staubläuse bekannt. Andere Exemplare sahen eher aus wie „weiße Fusseln“.

Kein Wunder, dass sich das Paar in ihrem Biotop, eigentlich ihre „Traumwohnung“, so Julia S., nicht mehr wohlfühlt. Doch obwohl ein von ihnen beauftragter Gutachter „extreme Feuchtigkeit“ an den Außenwänden festgestellt hat, unternahm die Vermieterin nichts Nachhaltiges dagegen, sondern erteilte den Ratschlag: „Ein Altbau muss gut belüftet werden.“ Dabei hatte ein Gutachter der Eigentümerin nahegelegt, dass sie „um die Sanierung und Dämmung der Fassade nicht herumkommen“ werde. Die Mieter reagierten mit Mietminderung, als nach unwirksamer Symptombekämpfung trotz weiter dringendem Instandhaltungsbedarfs keine Verbesserung des Mietobjekts erfolgte. Im Januar 2025 flatterte ihnen die Kündigung ins Haus – sie hatten wohl zu sehr genervt.

Die Begründung des Eigenbedarfs: Die Vermieterin ist Deutsche persischer Herkunft, lebt aber mit ihrem Mann und zwei Kindern seit 2020 in Dubai. Sie pflegt einen engen Kontakt zur Familie in Hamburg. Diesen will sie intensivieren und beansprucht zu diesem Zweck die Wohnung des Paares S./H. als Zweitwohnung für achtwöchentliche Ferien und „Zwischenaufenthalte“, außerdem leide sie unter „Heimweh“ und wolle sich künftig stärker um ihre alten Eltern kümmern. Fakt ist: Gegen die Mieter läuft eine Räumungsklage, aktuell suchen sie verzweifelt eine Wohnung. „Stefan kann die belastende Situation gut ausblenden“, sagt Julia S., „aber ich denke abends vor dem Einschlafen und morgens nach dem Aufwachen an die Wohnungssuche, fühle mich existenziell bedroht.“

„Die Chancen, sich dauerhaft gegen Eigenbedarf zur Wehr zu setzen, sind nicht besonders gut“, konstatiert Dr. Rolf Bosse. Darum begrüßt der Mieterverein die von Hamburg gestartete Bundesratsinitiative. Diese will vor allem den Personenkreis, für den Eigenbedarf geltend gemacht werden darf, einschränken. Neben einer Verlängerung der Kündigungsfrist von drei auf sechs Monate ist in dem Antrag eine Sperrfrist für Eigenbedarfskündigungen nach dem Kauf einer Wohnung vorgesehen. Zudem sollen die Rechtsfolgen bei vorgetäuschtem Eigenbedarf gesetzlich nachgeschärft werden.

Auch der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) sieht gesetzlichen Handlungsbedarf. Er fordert härtere Strafen bei unrechtmäßigen Eigenbedarfskündigungen. Die aktuell geltenden Regelungen auszunutzen, um langjährige Mieter aus ihren Wohnungen zu vertreiben und diese neu teuer an Dritte zu vermieten, bezeichnete VNW-Chef Andreas Breitner als „unsozial“. Momentan ist es sogar möglich, dass nicht nur Privatpersonen Eigenbedarf geltend machen können, sondern auch Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR). So wurde einem Mieter die Wohnung gekündigt, weil ein Gesellschafter diese wegen seiner angeblich gescheiterten Ehe selbst nutzen wollte. Nun befindet sich aber nicht sein Name auf dem Klingelschild, sondern ein anderer. Auf Nachfrage teilte er mit, er habe sich mit seiner Frau wieder versöhnt. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt!

Aber Täuschungen funktionieren auf lange Sicht nicht immer, wie der missglückte „Enkeltrick“ einer Vermieterin zeigt. Diese kündigte dem Ehepaar Nolte, der Enkel sollte einziehen, tat dieses aber angeblich coronabedingt nicht. Die Mieter zogen aus, klagten. Das Landgericht Hamburg entschied, die Begründung des Eigenbedarfs sei „ohne Substanz“, also vorgeschoben gewesen. Die Mieter mussten für die mit dem Umzug verbundenen Kosten entschädigt werden, erhielten fast 12.000 Euro. Für das Ertragen des jahrelangen Nervenkriegs gab es nichts.

 

Die Rechtslage

Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist laut § 573 Absatz 2 Nummer 2 BGB innerhalb der gesetzlichen Fristen möglich. Sie muss eigenhändig von allen Vermietern unterzeichnet werden und sich an alle Mietenden richten. Nach Erhalt einer solchen Kündigung empfiehlt der Mieterverein eine rechtzeitige Beratung, um mögliche Härteeinwände gemäß § 574 BGB zu prüfen und geltend machen zu können. In Hamburg kann der Härtefall insbesondere wegen der angespannten Wohnungslage erhoben werden. Auch gesundheitliche Gründe sind zu berücksichtigen. Der Härtefallwiderspruch muss zwei Monate vor Ende der Kündigungsfrist bei der Vermieterseite eingehen. Frühzeitig an den Mieterverein wenden! Bisweilen wird der Eigenbedarf vorgeschoben – um die Wohnung teurer weiterzuvermieten oder für einen höheren Preis zu verkaufen. In diesen Fällen besteht ein Anspruch auf Wiedereinzug oder auf Schadensersatz.

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